SEINSGRÜNDE – 43 Neurosen

Storys, Szenen, Porträts – 208 Seiten, Taschenbuch, 18 x 11 cm, 14.- Euro

ISBN: 978-3-86485-040-0

Covergrafik „Übersetzungsprobleme“ von Annette Paulsen

Gestaltung: Interkool

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Zum Inhalt:

Wenn man auch sonst nicht radikal ist: In seiner Neurose leistet man Widerstand. Meist leider gegen sich selbst – gegen den Teil, der nur allzu bereit ist, sich anzupassen und in der Konformität der scheinbar Normalen, der Normopathen, ein- und unterzugehen. Der Trend geht dahin, die Neurose als unspaltbaren Kern der Persönlichkeit auszubilden, als unverzichtbaren Identitätsersatz und Markenzeichen.

Diese Stories, Porträts und Szenen ermessen innere Hohlräume und seelische Abgründe. Grob skizziert und geradezu holzschnittartig dargestellt werden Typen, die ihre Neurose zum Lebensprinzip gemacht haben. Ein Verdrängungsprozessieren in vorderster Reihe. Menschen zwischen 5 und 80 Jahren, hier und heute, gestern und vorgestern, auf ihrem Weg, kämpfend mit der Realität und der Radikalität ihrer Macken.
Gemein ist den Texten, dass in ihnen psychische Deformationen nicht selten den Aufstand gegen die Widersacher(torte) aus Einsicht und Notwendigkeit proben.
Aus den Texten entwickelt sich ein vielschichtiges Panorama des Lebens in „unserer Gesellschaft“.

Keine Overdubs, kein Playback, keine literarischen Experimente. Absolute Linearität!

Anspieltipps erweitern die Stories und ihre Figuren ins Akustische. Nebenbei entsteht so ein kleines Universum, das zeigt, wie manche/r (mit) Popmusik lebt.

 

Die Geschichte "Falsch verbunden" in meiner Lesung im Nochtspeicher auf erlesen TV.

Zwei Texte aus dem Buch sind in einer Weblesung der Hamburger Kulturbehörde zu hören.

Playlist zum Buch auf youtube

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Stimmen zum Buch:

Bericht von Dirk Schneider im Deutschlandfunk:

"Im Internet bin ich viel interessanter" lautet ein T-Shirt-Spruch, den man diesen Frühling schon auf deutschen Straßen sichten konnte. Jeder möchte individuell sein. Also legt sich der bemühte Großstädter eine handfeste Macke zu und kultiviert sie. In seinem Buch "Seinsgründe. 43 Neurosen" stellt der Hamburger Autors Carsten Klook diverse Neurotiker vor.

"Er saugt stundenlang an einem Kugelschreiber, knabbert an Brillenbügeln, starrt Löcher in die Luft und dribbelt mit Sprechblasen. Dabei tut er so, als wäre er nicht da. Jedenfalls merkt er nichts davon. So sieht es von außen aus, wenn man neben ihm sitzt, an einem der Nachbartische in einem der hiesigen Cafés."


Süchtig nach Wohnungsbesichtigungen
Die Stadtneurotiker haben es dem Hamburger Autor Carsten Klook angetan. 43 von ihnen stellt er in seinem Buch "Seinsgründe" vor - nicht wissenschaftlich, rein literarisch. Die meisten von ihnen sind Menschen, die mit einem Übermaß an Zeit in der Großstadt leben, manchmal aber auch Leute wie der Hausarzt, der immerzu Gottfried Benn und lateinische Sinnsprüche zitiert, und bei dem es keine Arzthelferin aushält. Frauen sind erfreulicherweise nur leicht unterrepräsentiert in dieser Sammlung der Sonderlichkeiten:


"Rahel lernte ich in der Wartezone 134 des Arbeitsamtes kennen. Sie rutschte unruhig auf einer braunen Plastiksitzschale umher, die für ihren Hintern unsachgemäß ausgeformt war: Eine Kongruenz schien nicht möglich. Da sie in meinem Viertel wohnte, trafen wir uns zufällig in einem Café wieder. Dabei stellte ich fest: Rahel war süchtig nach Wohnungen. Genauer: Sie litt an einer Besichtigungssucht."


Neurotiker erkennt der Autor beim Blick in den Spiegel
Carsten Klook hat all diese Typen wohl tatsächlich schon einmal in seinem Leben getroffen. Einige wahrscheinlich auch öfter, beim morgendlichen Blick in den Spiegel. Denkt man, wenn man den Ein-Meter-Neunzig-Mann das Café im Hamburger Schanzenviertel betreten sieht. Mit gebeugtem Rücken, über die Wollmütze noch eine Kapuze gezogen. Der Autor bestätigt das gerne: "Ich hab mehrere Neurosen, ja, aber nicht so viele wie hier im Titel stehen. Ein paar davon sind meine."
"So ein bisschen ist die These des Buchs ja, dass man die pflegen kann, und dass man die ausbildet so inzwischen als eine Art Identitätsersatz oder Markenzeichen, das ist schon so. Das hat heute schon den Charakter, dass das gesellschaftlich schon sehr weit verbreitet ist und gar nicht so sehr als Krankheit gesehen wird."


Viele glauben etwas ganz Besonderes zu sein
Identitätsersatz oder Markenzeichen, in einer Welt, in der Individualität zu den wertvollsten Währungen gehört, weil sie immer seltener wird. Darum haben wir uns auch in einem Cafe im Hamburger Schanzenviertel verabredet. An wenigen anderen Orten in Deutschland trifft man auf so kleinem Raum so viele Menschen, die glauben, etwas ganz Besonderes zu sein. Damit auch andere Menschen das glauben, kultivieren sie ihre Macken und stellen sie draußen zur Schau. Doch der Autor möchte sich gar nicht über eventuell anwesende Neurotiker unterhalten:
"Das Ganze ist ja eine intrapsychische Angelegenheit, das ist ja nichts, was man sofort sieht, und man gibt ja auch nicht damit an, "Also ich hab jetzt total viele Persönlichkeitsstörungen" oder so, das merkt man dann, wenn man die Person kennenlernt, dass da irgendwas nicht stimmt, wenn man jede Stunde einen anderen Lebensentwurf macht für eigentlich mehrere Figuren an einem Tag, dass da irgendwas nicht in Ordnung ist."


Nicht im Mainstream der Normalos untergehen
Das ist erstmal enttäuschend, spricht der Mann, der im Namen der Neurose schreibt, doch in der Werbung für sein Buch von einem Trend, der dahin geht, Neurosen als unspaltbaren Kern der eigenen Identität auszubilden um nicht im Mainstream der Normalos unterzugehen.
"Ich finde das ist ein schöner Satz für eine PR-Aktion. Es suggeriert einem, dass die Neurose einen zum Star machen kann. Das ist natürlich Schwachsinn. Aber ich fand es ganz lustig, den Satz da hin zu stellen."
Also sind wir einem Neurotiker auf den Leim gegangen? Man hätte es sich denken können, denn genau das können diese Neurosenzüchter ja am besten: Interesse für sich wecken. Auch der heideggerianische Buchtitel "Seinsgründe" hat keinen tieferen Sinn:
"Eigentlich sollte das Buch erst "Umzingelt von Singles" heißen, aber der Verleger meinte "Nee, das Thema ist durch, das machen wir nicht.""


Neurosen wollen gepflegt werden
Das Buch ist übrigens eine Sammlung von Texten, die der Autor in einem Zeitraum von über zehn Jahren geschrieben hat. Dass das Neurotische ein durchgängiges Thema bei ihm ist, hat er selbst erst im Nachhinein gemerkt. Neurosen lassen sich nämlich gar nicht ausbilden, sie kommen zu den Menschen. Erst wenn der Mensch sie erkennt, kann er sie pflegen und zur Vollendung bringen. Wie der Mann, den Carsten Klook in der Geschichte mit dem Titel "Falsch verbunden" sagen lässt, und die auch vom großen Neurotiker Woody Allen stammen könnte:
"Ich kann nur eine Beziehung mit einer Frau haben, die auch keine Beziehung haben kann."
Normalsein finden junge Menschen nicht schlimm
Die Lektüre der 208 Seiten ist übrigens sehr unterhaltsam, auch wenn man die verschiedenen Typen recht bald nicht mehr auseinander halten kann. Klook ist ein sehr guter Beobachter, zur Aufklärung hat er noch einen Auszug aus Alfred Adlers "Neurosenlehre" von 1913 angehängt. Und zur Unterhaltung verweist der ehemalige Musikjournalist nach jedem Kapitel auf einen passenden Popsong. Die meisten von ihnen allerdings nicht mehr besonders aktuell, und so kann man Seinsgründe auch als Abgesang auf eine verschwindende Spezies lesen, wie der 54jährige Autor selbst erkannt hat:
"Vielleicht ist das tatsächlich überhaupt nicht schlimm, "normal" zu sein. Das ist ja auch was, was bei den Nachgewachsenen, der jüngeren Generation, auch überhaupt kein Thema ist. Die finden das nicht so schlimm."

Dirk Schneider, Deutschlandfunk, 31. März 2014

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Wunderlicher Rebell

Pünktlich zum 100. Jahrestag von Alfred Adlers Neurosenlehre verleiht der Hamburger Schriftsteller Carsten Klook der psychischen Störung in kleinen Kurzgeschichten ein neues urbanes Gesicht

Vielleicht hat man sie schon einmal in der U-Bahn gesehen oder im Café, oder auf der Straße: Die Figuren, die der Hamburger Schriftsteller Carsten Klook in seinem neuen Buch „Seinsgründe“ porträtiert, sind erfunden und haben doch Eigenheiten, die einem vertraut erscheinen: Jörg, dessen Namen man wie „Yörg“, wie Yes oder New York ausspricht, war schon Comic-Zeichner, Musiker, Filmer, New York-Stipendiat und seine neueste Idee ist, „einen Laden in Berlin aufzumachen“. Der Fake-Jazzmusiker Marc wird nach seinem Musikwissenschaftsstudium als Straßenmusiker gesichtet, Rob studiert das weiße Papier seiner Schreibmaschine, das er in kürzester Zeit mit Nikotin vergilbt. Rahel hat eine Wohnungsbesichtigungssucht …

43 Neurosen stellt der Autor in seinen Stories, Szenen und Porträts vor. Wenn er von einer Frau erzählt, die sich selbst anzündet, weil die den Zwang hat, sich zu verletzen, befremdet das. In den meisten Geschichten sind die Neurosen aber eher etwas. das man salopp „Macken“ nennen würde. Merkwürdige Verhaltensweisen, über die man den Kopf schüttelt, aber mit einem Schmunzeln. Weil man weiß, dass man selbst auch mindestens eine davon hat. Laut dem Psychologen Alfred Adler liegt das vielleicht daran, dass die psychische „Störung“ Neurose mit etwas zusammenhängt, das man, eingezwängt in die Anspruchshaltung seiner Umwelt, allzu gut kennt. Adler, den Klook in seinem Nachwort zitiert, schreibt in seiner Neurosenlehre: „Jede Neurose kann als Versuch verstanden werden, sich aus einem Gefühl der Minderwertigkeit zu befreien, um ein Gefühl der Überlegenheit zu gewinnen.“ Die zwanghaften Handlungsweisen, die aus diesem Gefühl des Mangels von den Betroffenen entwickelt werden, sind für den Schriftsteller Klook eine Steilvorlage zum Erzählen. „Der Zwang gebiert sozusagen seine eigene Geschichte.“

Das wirkliche, zugrunde liegende Problem wird durch die Neurose nicht gelöst. Sie führt in die Isolation. In „Seinsgründe“ wimmelt es nur so von beziehungsunfähigen Männern und Frauen, Langzeitsingles, Paaren, die zusammen sind und doch allein. Auch das kennt man, besonders in einer Metropole wie Hamburg.

Carsten Klook, der in seinen bisherigen Büchern („Korrektor“, „Stadt unter“) sehr viel mit Sprache experimentierte, hat sich bei seinem neuen Bändchen für eine sehr klare, lineare Erzählweise entschieden. Innerhalb eines Jahrzehnts sind so eng verdichtete, höchst originelle Großstadt-Stories entstanden. Eine zusätzliche Deutungsebene wird eröffnet, indem sich Klook (der viele Jahre als Musikjournalist arbeitete) intertextuell auf Songs bezieht. Vielen Texten ist ein Anspieltipp nachgestellt, der oft mit dem Inhalt korrespondiert. Manchmal ist das auch als Joke gemeint, als kleines ironisches Augenzwinkern. So wird die Neurose ein bisschen zum coolen Rebellen, zum Markenzeichen. Über sein eigenes hüllt sich Carsten Klook allerdings in Schweigen.

Katharina Manzke, Szene Hamburg, Juni 2013

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„Nach wie vor bin ich sehr begeistert von deinen Ideen und deinem sauberen Umgang mit Sprache. Tschä, Lob hast du wahrscheinlich schon den ganzen Dachboden voll, aber mir gefällt's eben, und diversen Probanden, die ich mit "Babette" traktiert habe, auch. Du kannst herrlich hinschauen, in fremden Wunden bohren, ohne unfair und sogar böse rüberzukommen. Du schilderst die Neurosen deiner Figuren mit einer angenehmen, im Grunde freundlichen Distanz, die den Geschichten etwas Reportagehaftes und fast Authentisches geben."

Dr. Daniel Tilgner, Lektor